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Das Kunstwerk


1988 / Dora und Hubert Kleemann

Fassadengestaltung

Geschichte Frankfurt (Oder)


Dora und Hubert Kleemann

„Die Kleemanns”, wie Beate Seelig ihre Eltern liebevoll nennt, traten nur im Doppelpack auf: Dora und Hubert Kleemann lebten und arbeiteten zusammen, unterstützen sich gegenseitig in ihren künstlerischen Projekten und signierten auf den unzähligen Kunstwerken immerzu gemeinsam. So auch auf dem 1988 errichteten Kunstwerk Geschichte von Frankfurt (Oder), welches sich auf der Fassade des Hauses mit der Hausnummer 8 in der Kleinen Oderstraße, direkt an der Ecke zur Großen Scharrnstraße befindet.

An dieser städtebaulich markanten Stelle fällt das Objekt, insbesondere von der südlichen Richtung, direkt auf: Die vorgesetzte Glasfassade sticht nicht nur durch ihre viergeschossige Dimension hervor. Auch die engmaschige Gliederung der Fensterrahmen sowie die Material- und Farbkontraste setzen sich von den typischen Plattenwänden ab und sorgen für eine postmodern anmutende Eigenwilligkeit der Gesamtkomposition. Mit diesen Mitteln wurden die hellgrauen Aluminiumplatten mit der »Geschichte von Frankfurt (Oder)« in Szene gesetzt und somit die Bedeutung des gewählten Motivs unterstrichen.

Potpourri der Stadtgeschichte – reich an Motiven und Perspektiven

Tritt man näher an das Kunstwerk heran, fällt der Blick auf die einzelnen mit Relief getriebenen Aluminiumplatten. Jede Platte zeichnet sich durch ein individuelles Motiv aus, wobei auch zentrale Motive wie Wasser, Technik/Fortschritt, Stadtgeschichte und Bildung zu erkennen sind. Zwei Achsen stechen bei der Betrachtung des Kunstwerks besonders hervor: Die Platten in der untersten Reihe bilden eine horizontale Achse, die gleichzeitig auch symmetrisch gespiegelt ist. Jeweils ganz außen sind ein Menschenkopf, dann der Kopf einer Kuh, eines Fisches und schließlich – direkt neben den flach angelegten Platten – ein Hahnenkopf zu sehen. Die Symmetrie zieht sich auch weiter durch die fünf großen Brüstungsplatten des 1. Obergeschosses: Sind außen Boote, Wasser und Fische dargestellt, erkennt man auf den beiden Platten rechts und links der Mitte technische Innovationen. Die mittlere Brüstungsplatte zeigt eine Stadtansicht mit einer Menschengruppe in einer geselligen Austauschsituation (Messebesucher?). Von hier aus geht wiederum ein vertikaler Erzählstrang aus, der die zweite, senkrechte Achse des Kunstwerks bildet. Hier wird die historische Stadtentwicklung von Frankfurt (Oder) nachgezeichnet. Ist im vierten Obergeschoss eine mittelalterliche Szenerie zu erkennen, entwickelt sich die Erzählung in loser chronologischer Folge nach unten, indem sie die mit Brücken überzogene Handelsstadt zeigt, die schließlich mit zunehmender Industrialisierung zu einer mit Schornsteinen übersäten Fabriklandschaft wird.

Geschichte von Frankfurt (Oder) soll ein episches Gesamtbild kreieren von dem, was die Identität der Stadt ausmacht. Die unterschiedlichen Motive verweisen auf zentrale Aspekte, die in der zerstörten und wiederaufgebauten Innenstadt nicht mehr erkennbar sind.

Kunst und Architektur spielen mit dem Raum

„Wie bewegt sich der Mensch in einer Straße und wie orientiert man sich?“, fragten sich Dora und Hubert Kleemann. Das Spiel mit Glasfenstern, gelben Fensterrahmen und individuell gestalteten Aluminiumplatten greift diesen Gedanken der Kleemanns auf. Hier sollte nicht nur der graue Beton aufgebrochen und Farbe ins Spiel gebracht werden, sondern auch „ein Rhythmus entstehen“, der die Bewohner und Besucherinnen anleitet und bewegt. Die Tierköpfe, die sich jeweils rechts und links von den Ecken befinden, sollen die glatt wirkende Oberfläche aufbrechen und den vorübergehenden Menschen als ein Orientierungsmerkmal dienen.

Ein besonderes Künstlerpaar für ein besonderes Kunstwerk

Doch wie kam es zur Entstehung der Geschichte von Frankfurt (Oder) ? Beate Seelig, Tochter von Dora und Hubert Kleemann und ebenfalls Künstlerin, war von Anfang an in der Werkstatt ihrer Eltern mit dabei und begleitete sie bei Konzeption und Durchführung des Projekts in der Großen Scharrnstraße. In einem Interview berichtet Seelig ausführlich über die Entstehung des Kunstwerks, das vielfältige und wahnsinnig fleißige“ künstlerische Schaffen ihrer Eltern und die Wirkung der Großen Scharrnstraße damals und heute. Sie sieht mehrere Gründe dafür, dass Dora und Hubert Kleemann, an der Ausschreibung zur Gestaltung der Großen Scharrnstraße teilnehmen und ihr Werk umsetzen durften; So verweist sie auf die vielfältigen Arbeiten, mit welchen sie bereits bekannt wurden, auf die große Bandbreite angewandter Techniken und Materialien sowie auf die Erfahrung mit architektonischen Elementen zurück.

Dora und Hubert Kleemann, die zuvor ihre künstlerische Aufgabe mitunter in der Gestaltung sakraler Räume gefunden hatten und vornehmlich mit Email arbeiteten, skizzierten eine Vielzahl von Motiven und waren in ihrer Auswahl relativ frei“, so Beate Seelig. Ihrer Mutter schreibt Beate Seelig dabei eine treibende Rolle zu. Sie habe viel Freude am Projekt und am Austausch mit der Kommission und den Kolleginnen und Kollegen. Insgesamt sei das Projekt in der Großen Scharrnstraße für ihre Eltern etwas Besonderes, ja eine Auszeichnung gewesen.

Für Beate Seelig ist das Kunstwerk ihrer Eltern, das durch die vereinfachte Symbolsprache für alle zugänglich ist und ‚zeitlos‘ wirkt, noch heute von besonderer Bedeutung. Es bringt die Grundidee der damaligen Neugestaltung der Großen Scharrnstraße auf den Punkt: Die Stadtgeschichte hat ein Gesicht mit dem sich die Bürgerinnen und Bürgern identifizieren können. Nun gilt es zu schauen, wie diese Geschichte weitergeschrieben wird.